Halle, Juli 2025 | von Bernd B.

Gefahr erkannt, Gefahr gebannt: Die Bergung der alten Dokumenten­kugel

Die Dokumentenkapsel auf der Spitze der Laterne 1984/1985

Als Jungingenieur war ich seit September 1982 in der Hochbaumeisterei Halle (Saale) tätig. Im folgenden Jahr wurde eine Arbeitsgruppe aus Mitgliedern der Reichsbahndirektion Halle (Saale) Abt. Hochbau gebildet, welche federführend alle Arbeiten am Hauptbahnhof Halle (Saale) und der Güterabfertigung Halle (Saale) koordinieren sollte. Mir kam unter anderem die Aufgabe zu, diverse Zuarbeiten wie die Herstellung von Lageplänen von Bahnsteigen und die „Planung“ der Ausrüstung der Bahnsteige wie Beleuchtung, Beschallung, Ausstattung einschließlich der neuen erforderlichen Kabeltrassen zu leisten. Auch in die Rekonstruktion der Kuppelhalle wurde ich mit integriert, dazu später mehr.

Eines Tages, es war ein Mittwoch im Herbst 1984, saßen die leitenden Mitarbeiter der Hochbaumeisterei Halle (Saale) zur Arbeitsberatung  im Versammlungsraum. Plötzlich kam mein Chef in die Versammlung gestürzt: „Kollege Bischoff, die Kugel auf der Spitze der Kuppelhalle droht abzustürzen!! Machen Sie sich mal los und bergen Sie das Ding!“

Es war ein Herbststurm 1984 durch den Bezirk Halle gefegt, und der hatte das verrostete Rohr samt der Dokumentenkapsel abgeknickt, es bestand also Absturzgefahr für die Spitze! Ich konnte die Kollegen Andreas K., Werner P. und den Zimmermann Michael V. für die Bergung der Spitze gewinnen, dazu wurden ein Bolzenschneider, ein Sicherheitsgurt und Sicherungsleinen organisiert, und los ging es! Nach einer kurzen Anmeldung beim damaligen Bahnhofsvorsteher, Kollege K., wurde uns der Zugang zur Kuppelhalle gewährt. Vom Dach des Empfangsgebäudes gelangten wir an den Aufstieg zur Laterne der Kuppelhalle: Es handelt sich hierbei um eine schmale Treppenkonstruktion, welche aus Metallstufen von etwa 20 cm Breite und 30 cm Länge bestand und auf einem der gewölbten Träger der Kuppelhalle montiert waren. Dazu gab es einen rechtsseitigen Handlauf, der an einen wenig vertrauenserweckenden Treppenpfosten montiert war. Ein eleganter Catwalk a la Germany's Next Topmodel  auf dieser Konstruktion sah anders aus; bei Wind auf dieser Konstruktion die Kuppel das erste Mal erklimmen, war ein Wagnis! Da wurde auf Eleganz unsererseits wenig Wert gelegt. Oben angekommen, wurde erst einmal kurz durchgeatmet, dann ging es noch einmal auf die eigentliche Laterne!

Das zu bergende Bauteil hing zum Glück noch am Blitzableiter! Dann wurde der Kollege P. mittels Gurt und Leine gesichert. Er erklomm langsam die Laterne, die Dokumentenkugel wurde ebenfalls angebunden,  ein Schnitt mit dem Bolzenschneider…., und die Gefahr war gebannt. Danach der Abstieg über diese „Hühnerleiter“, unten wurde der Puls aller Beteiligten wieder runtergefahren. Anschließend erfolgte die Vollzugsmeldung der Bergungsaktion beim Bahnhofsvorsteher. Durch ihn wurde zunächst die Kapsel „requiriert“; sicher war er neugierig, was der Inhalt der korrossionsgeschädigten Kugel war. Zur Öffnung fanden sich auch Vertreter der Abt. Hochbau ein. Der Inhalt war aber durch Regenwasser arg in Mitleidenschaft gezogen und kaum lesbar! Die Odyssee der Dokumentenkapsel endete dann im Materiallager der HBM; dort verlieren sich auch ihre Spuren. Die Spitze war wegen des Blitzschutzes aus einem edlen silberfarbenen Metall (Platin??) gefertigt, der Verbleib ist ebenfalls offen.

Zwischenbemerkung: Wie man auf Fotografien der Kuppelhalle aus dem Jahr 1952 erkennen kann, war zu diesem Zeitpunkt die Spitze der Laterne noch durch eine „Krone“ geschmückt. Bis zum Jahr 1957 wurde diese Krone zurückgebaut und durch eine Beblechung ersetzt. Die ursprüngliche Drahtverglasung der Laterne war sicher durch die Bombentreffer im Krieg zerstört worden und musste kurzfristig nach 1945 durch eine Holzschalung mit Blechbeplankung ersetzt werden.

(Nach der Erneuerung der Verglasung 1985 hatte ich eins dieser demontierten Bleche in meinem feuchten Keller unter einen Schrank geschoben. Bei meinem Auszug aus dem Haus im Jahr 1998 wurde das Blech wieder verschrottet. Durch die Feuchte und die Zeit hatte es seltsam „geblüht“. Mir kam die Vermutung, dass das Blech Duraluminium war und aus der Kriegsproduktion  der Siebel-Flugzeugwerke Halle (Saale). stammte. Schon damals galt: Schwerter zu Pflugscharen!!!)

Große Probleme mit einer kleinen Kugel - Die neue Dokumenten­kugel

Im Rahmen der Rekonstruktion der Kuppelhalle wurde die Stahlkonstruktion im Jahr 1985 entstaubt, entrostet, neu gestrichen und mit einer Dachhaut aus Aluminium eingedeckt. Für die Laterne war wieder eine Verglasung aus Drahtglas vorgesehen. Auch eine neue Dokumentenkapsel sollte wieder auf der Spitze thronen.

Der Leiter der Abt. Hochbau, Helmut K., hatte Architektur studiert und ließ es sich nicht nehmen, auf einer zeichnerischen Ansicht der Kuppelhalle die neue Spitze zu entwerfen. Auf dem “Mast” schob er dann einen maßstäblichen Kreis hin und her, um eine optimale Position zu ermitteln; er war eben außer einem guten Abteilungsleiter auch ein Ästhet.

Da die „Kugel“ fertigungstechnisch nicht aus zwei gepressten Halbschalen gelötet werden konnte, entschied man sich, das Bauelement aus mehreren Segmenten (analog Melonenschiffchen) zu fertigen und zusammenzufügen. Gesagt – getan!! Die Dachklempner vom BMK Chemie BT Ausbau Weißenfels fertigten die „Kugel“ und legten bei der Fertigung einen zur Verfügung gestellten Satz DDR-Münzen und ein Schriftstück mit hinein.

Der Pfosten mit der daran befestigten Kugel wurde im September 1985 in einer Bauberatung in der HBM vorgestellt und begutachtet. Dabei tauchte die Frage auf, ob durch die einzelnen Segmente und die Reflexion des Sonnenlichtes das Teil nicht mehr als Kugel wahrgenommen wird? Also wurde ein neuer Ortstermin auf der Baustelle festgelegt. Ich hatte die Ehre, zum Entscheidungstermin das Bauteil zu schultern und per Manpower zum Bahnhof tragen zu dürfen. Dort musste ich die Spitze der Kuppelhalle über die vorhandene Rüstung erklimmen und oben die neue Kugel halten. Meine Vorgesetzten einigten sich dann auf dem Bahnhofsvorplatz darauf, dass auf diese Entfernung die Konturen der Kugel verwischten und die Einbauhöhe der Kugel optimal war.

Somit waren alle Kriterien erfüllt, Glück gehabt!!!

Helfen Sie beim Wiederaufbau der beiden Flankentürme

Alle, denen die einmalige Kuppelhalle des Halleschen Hauptbahnhofs am Herzen liegt und dazu einen Beitrag leisten möchten, dass die beiden Rundtürme wieder aufgebaut werden, sind aufgerufen, aktiv mitzuwirken und/oder durch Spenden das Anliegen des Vereins zu unterstützen.

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